Gunzenhäuser Miniaturen
Gunzenhäuser Miniaturen
„Gunzenhäuser Miniaturen“, ein kleines Büchlein, das Anfang der 1980er Jahre in der Reihe „Fränkische Miniaturen“ erschien und von Johann Schrenk herausgegeben wurde. Enthalten sind prosaische Einblicke in längst vergangene Gunzenhäuser Tage, verfasst wurden die Texte vom ehemaligen Altmühl-Bote Redakteur und langjährigen Vorsitzenden des Vereins für Heimatkunde Gunzenhausen e.V. Wilhelm Lux. Der Wolframs-Eschenbacher Künstler Klaus Selz hatte die Anekdoten, Geschichten und Gedichte toll illustriert.
Ein wenig ungeordnet reihen sich lyrische Versformschätze wie die „Erinnerungen an die Gunzenhäuser Kirchweih“ von J.G.Fehr (1820er Jahre) an regionale Lieder wie „Das Ohmerlied“ von Pfarrer Johann Friedrich Wucherer (1858 bis 1881) und Texte wie die Sage vom „Kreuz im Altmühltal“. Der stärkste Teil des Sammelwerks sind daher die mündlichen Überlieferungen, nun schriftlich festgehalten, unter dem Titel „Der Vergessenheit entrissen“. Hier gibt es Geschichten über blutbespritzte Beile und Morde mit dem Stockdegen zu lesen, aber auch Spannendes über die möglichen Mörder von Kaspar Hauser und den verschwundenen Amtskastner Johann Paul Rötter.
In „Von Käuzen, Schelmen und Originalen“ kommen Peripheriemenschen zu Ehren, darunter Gunzenhäuser Originale wie der Lumpenmatthes und der Eichhornhanni. Beeindruckend fand der Rezensent die Geschichte „Ein seltsamer Gast“, die an Ostern im Jahre 1773 spielen soll. Ein Professor Jakob Philadelphia aus Neuengland soll in Gunzenhausen zu Gast gewesen sein und im Gasthaus Adler allerlei Tricks vorgeführt haben. U.a. zeigte er die Erfindung „Laterna magica“, eine Technik, die schnell als Zauberkunst abgetan wurde.
Das Büchlein „Gunzenhäuser Miniaturen“ ist längst nur noch antiquarisch zu bekommen.
Als Kulturmacherei geben wir 3 von 5 spannende Geschichten.
SUTCLIFFE – Marie Byrd Land
SUTCLIFFE zu rezensieren, das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Genauso gut könnte man sich an einem Film von David Lynch abarbeiten oder versuchen Werke von Damien Hirst oder Jonathan Meese in verständliche Worte zu fassen. In allen Fällen bleiben wir sprachlos zurück, fragen uns, was wir da gerade gesehen, gehört oder erfahren haben. Zum Wesen von Kunst gehört, dass Leerstellen gefüllt werden müssen. Wir gehen Beziehungen mit den Werken ein, fragen uns, was alles drinsteckt und was uns die Künstlerinnen und Künstler mit auf den Lebensweg geben möchten. SUTCLIFFES aktuelles Album „Marie Byrd Land“ ist – ganz positiv gemeint – ein absolutes Brett vor den Kopf. Komplexe Empfindungen prasseln auf einen ein, die Noten erzählen emotionale Geschichten voller Tiefe und oftmals melancholischer Momente. Ob hinter jedem Takt wirklich die große Idee stand, sei dahingestellt, zudem ist die Frage völlig belanglos. Als Gesamtkomposition ist die Scheibe fantastisch, getragen von fünf außergewöhnlichen Solisten, die ins Innerste von Menschen blicken und ihre Gedanken instrumental mit uns allen teilen.
SUTCLIFFE ist Ohrenkino vom Allerfeinsten, besonders der zweite Track namens „L´Appel du Vide“ rückt sie ganz nah an die italienischen Progrockgötter Goblin heran. Dario Argento hatte Goblin für seine Giallos und Horrorfilme entdeckt, die Musik hat sich ins kollektive Gedächtnis von Generationen an Filmfreaks gebrannt. Wie eine Druckwelle entwickelt sich das Stück von SUTCLIFFE, die Elektropop-Elemente erzählen eine Geschichte von Tod und Leben. Ähnliches vermag auch das fast zehnminütige „Hyperion“ zu tun, das Lied ist eine vielfältige Hymne voller Gefühl und Spannung. Möchte man den sehr persönlichen Blick im Alter zurück aufs eigene Leben in Musik ausdrücken – hier wäre ein gutes Beispiel dafür.
Bei „Bir Tawil“ werden einige Musikenthusiasten sicher an die Alternative-Band Mila Mar denken. Das Stück kriecht wie eine psychedelische Tonschlange Richtung Gehirn, zwischendrin hat Zuhörerin oder Zuhörer das Gefühl, zu lange in die Sonne zu blicken. Irgendwann setzt eine Reizüberflutung ein, es ist herausfordernd, hier bis zum Ende dabei zu bleiben. Die Belohnung fürs Durchhalten ist allerdings enorm, Komplexität bildet die Klammer um diesen tiefgründigen Beitrag. „Montauk“ ist wiederum purer Genuss, eine Ansammlung von bekannten Klischees, verpackt in eine wunderbare Story. Das Stück ist ein 70er-Jahre US-TV-Krimi, getarnt als Musik, es fehlt am Ende nur noch eine zeitgenössische Discoszene ohne Ton, die Soundkulisse is ja schon da.
„We Lost the Way“, man beachte das große „L“ ist tongewordener Aufruf für mehr Solidarität und Rücksichtnahme. Während wir uns als westliche Gesellschaft in der nächsten Flüchtlingskrise befinden und hochnäsig über Menschen ohne Gesichter und Namen diskutieren, bleibt dem Einzelnen das Unbekannte fremd. Der Andere ist aber nicht anders, es sind tatsächlich Frauen, Männer oder Kinder aus Fleisch und Blut – sie alle haben Gefühle, Wünsche und Geschichten zu erzählen. Einfacher verdaulich ist da schon der Track „Petrichor“, der sich am besten nach getaner Arbeit mit einem Kaltgetränk in der Hand am Pool genießen lässt.
"Marie Byrd Land“ ist geheimnisvoll und manchmal auch schwer zugänglich. Abseits der austauschbaren Pop- und Rock-Fahrstuhlmusik hat SUTCLIFFE ein kleines musikalisches Monument in den Weg gebaut. Das ist nicht leicht zu durchschauen, noch weniger bezwingbar. Mann und Frau Zuhörende ergötzen sich jedoch zeitlos an seiner Schönheit.
Als Kulturmacherei geben wir 5 von 5 Soundtracks für das Leben.
Hier geht es zur Homepage der Band: SUTCLIFFE | Homepage der Instrumentalband
Lupus Noctis – Gunzenhäuser Gruselzeit im unterirdischen Hilfskrankenhaus
Sie kennen bestimmt auch jemanden (oder sind selbst davon betroffen), der unter dieser seltsamen Krankheit leidet, die sich Lesesucht nennt. Was in die Finger kommt oder nicht schnell genug im Regal verschwindet, wird gelesen, egal ob Goethe, Perry Rhodan oder die belanglose Zeitschrift im Wartezimmer. Mit zunehmenden Alter wird die Sucht angeblich abgemildert, doch das sind nur Gerüchte. Viele Fragen tun sich in diesem Zusammenhang auf, z.B. warum auch Erwachsene an Kinder- und Jugendbüchern Spaß haben können. Einmal vielleicht, weil es tolle Storys gibt, denken Sie nur an die deutschen Klassiker „Emil und die Detektive“ von Erich Kästner, „Die unendliche Geschichte“ von Michael Ende oder „tschick“ von Wolfgang Herrndorf. Außerdem lassen sich auch die meisten Älteren gerne unterhalten, beispielsweise nach einem stressigen Arbeitstag oder wenn anspruchsvolle Literatur plötzlich zu anspruchsvoll ist und was Seichtes gewünscht wird. Selbst eingefleischte Spaßbremsen sind zu einem Lächeln fähig. Schließlich sind Kinder- und Jugendbücher interessant, wenn sie die Lebenswirklichkeit der Lesenden tangieren, am besten noch Lokalkolorit zwischen den Seiten heraustropft. Und hier kommen wir nach einer gefühlt viel zu langen Einleitung endlich zu „Lupus Noctis“ vom Autorinnen-Duo Melissa Hill und Anja Stapor. Die beiden haben ihren Plot nach Gunzenhausen verlegt, genau genommen in die Gunzenhäuser Unterwelt. Schauplatz ist das Bunkerkrankenhaus unter der Berufsschule, ein perfekter Ort für eine unheimliche Geschichte. Als Kulturmacherei haben wir uns das Werk einmal genauer angesehen.
Wir Menschen gruseln uns gerne. Wenn sich die Haare aufstellen und es plötzlich kalt den Rücken runterläuft, so empfinden wir Spannung und nach der Auflösung große Erleichterung. Was wir nicht begreifen, ist per se schon unheimlich, rationale Erklärungen sind stimmungskillend. Manche Orte, am besten in Dunkelheit getaucht, sind wie geschaffen für ein wenig Nervenkitzel. Das unterirdische Hilfskrankenhaus gehört definitiv dazu, denn fragen wir uns nicht seit jeher, was sich wohl unter uns so alles befindet an Gängen, Einrichtungen und Unbekannten. Das Krankenhaus zumindest ist ein Überbleibsel aus dem Kalten Krieg und bis heute noch weitestgehend eingerichtet. Es gibt dunkle Gänge, Maschinenräume und angsteinflößende OP-Zimmer. Dort liegen mit Skalpell, Knochensäge und Co. immer noch Instrumente bereit, es wirkt fast so, als würden sie auf ihren Einsatz warten. Im letzten Jahr war das Bunkerkrankenhaus wieder einmal groß in den Medien – im Zuge des russischen Überfalls auf die Ukraine hat sich die Presse nach funktionsfähigen Schutzräumen erkundigt. Klar, dass hierbei an die Gunzenhäuser Einrichtung gedacht wurde.
Lupus Noctis, das klingt nach mittelalterlichem Geheimbund, ist letztlich aber „nur“ der selbstgewählte Titel eines Rollenspiels, das die Plot-Protagonisten zum Zeitvertreib erfunden haben. Angelehnt an den Klassiker „Die Werwölfe von Düsterwald“ führt Lupus Noctis eine Gruppe junger Erwachsener regelmäßig an unheimliche Orte im Raum Gunzenhausen. Dort wird gespielt, es geht um einen fiktiven Konflikt zwischen Werwölfen und Dorfbewohnern. In der Katharinenkapelle in Hechlingen war die Clique schon, natürlich auch auf dem Uhlberg und in einer nicht näher definierten Lost place-Villa, die kurz danach abgebrannt ist. In den Flammen kam nicht nur ein Mensch ums Leben, sondern es blieb auch die Unschuld der Gruppe am Tatort zurück.
Die Handlungsebene konzentriert sich auf das Krankenhaus, daher erfährt der Lokalkolorit schmachtende Leselüstling erstmal wenig über Gunzenhausen. Ein Kunstgriff musste her, welche die Autorinnen in einer externen Figur fanden. Auf der Suche nach ihren Freunden bewegt diese sich außerhalb des Schauplatzes und besucht im Rahmen ihrer Odyssee den Reutberg, die Hensoltshöhe und Wohnorte.
Klar, die Figuren sind allesamt genretypisch, haben alle ihre Geheimnisse und sind vollends in den 2020er-Jahren beheimatet. So gibt es den sportelten Ladykiller mit Influencergenen, den maulwurfblinden Nerd mit herausragenden Geschichtskenntnissen und die nervtötende Generation Z-Vertreterin, die sich am liebsten von veganer Luft ernährt und in jeder unpassenden Situation das Singen anfängt. Die Stereotypen sind nicht schlimm, erleichtern sie doch auch ungeübten Leserinnen und Lesern den Zugang zum Plot. Leider sind einem die Figuren damit aber auch völlig egal, eine Identifikation findet nicht statt. Bei einem 08/15-Schablonenplot geht das gut, das Autorinnenduo spielt in Lupus Noctis allerdings manchmal zu sehr auf der Klischeegeige. Selbst als gegen Ende hin der Tod im unterirdischen Krankenhaus vorbeischaut, emotional bleibt dies weitestgehend ereignislos, sowohl für die Figuren, als auch für die Leserschaft.
Spannend ist das Buch dennoch, keine Frage. Hill und Stapor spielen gekonnt mit der Umgebung, lassen ihre Figuren zeitweise durch persönliche Höllen gehen. Plötzlich ist der Schlüssel weg und die Gruppe bleibt für Tage im Bunker eingeschlossen - ein permanenter Hauch von Misstrauen weht durch die Gänge. Jede Figur bekommt eigene Kapitel gewidmet, ein gekonnter Kunstgriff, der es beiden Autorinnen ermöglichte, parallel an der Geschichte zu schreiben. Übergespült wurde augenscheinlich eine vorher angefertigte Schablone, welche die Handlungshöhepunkte vorgab über zielgerichtet über Up und Downs entschied. Diese inhaltliche Konstruktion ist erkennbar und leicht zu durchschauen. Für ein Jugendbuch funktioniert es allerdings prima und die Auflösung dürfte für den einen oder für die andere überraschend sein.
Für Erwachsene ist Lupus Noctis keine Offenbarung, aber ok. Jugendliche haben sicher Spaß und werden angeregt, einmal selbst das unterirdische Hilfskrankenhaus zu besuchen. Führungen werden u.a. über die Tourist Information und die vhs Gunzenhausen angeboten (www.gunzenhausen.info).
Als Kulturmacherei geben wir 3 von 5 Werwölfen für Lupus Noctis.
Links:
Das Hilfskrankenhaus im Internet: Hilfskrankenhaus Gunzenhausen
Homepage der Tourist Information der Stadt Gunzenhausen: Gunzenhausen
Homepage des Autorinnenduos Melissa C. Hill und Anja Stapor: Schreibduo | Melissa C. Hill & Anja Stapor (hillstapor.de)